Sehr geehrter Herr Bundespräsident,
zu Ihrer Neujahrsansprache, Ihrer Forderung nach „Augenmaß“ bei der Beurteilung von Stärken und Schwächen bei den nun politisch Verantwortlichen in unserem Land und Ihrem Werben um Vertrauen „in die vielfach bewiesene Leistungsfähigkeit unseres Landes und Zuversicht für die Zukunft“ gibt es - aus bescheidener Froschperspektive - viel zu sagen:
Wenn Sie meinen „Zu viel Salz kann auch die besten Speisen verderben“, dann haben Sie damit natürlich vollkommen Recht! Doch das gilt ebenso für die Politik. Und gerade die beiden nun neuerlich in der Regierung vertretenen Parteien SPÖ und ÖVP waren es, die VOR der geschlagenen Nationalratswahl gemeint haben, es müsse sich in Österreich sehr wohl einiges ändern, auch in der Zusammenarbeit, in der Arbeit für die Bürger und im politischen Umsetzungsprogramm. Dass das nun für die Bürger dieses Landes NACH der Wahl unverändert so Gültigkeit hat, das kann doch wohl keinen verwundern. Wieso sind Sie es dann - als oberster Repräsentant dieses Volkes?
Dass die Regierungsparteien die geweckte und nun vollkommen enttäuschte Erwartungshaltung offenbar ziemlich kalt lässt und sie so weitermachen, als wäre bisher nichts gewesen, allein das müsste ja schon Alarmsignal genug sein. Einen Vertrauensvorschuss kann man doch nur jemandem entgegenbringen, der entweder völlig neu im Amt ist, oder mit dem zuvor Beschriebenen anders, nämlich entsprechend verantwortungsvoll umgeht.
Um Ihren Vergleich mit dem Sport zu bemühen: Spieler dieser Qualität würden es - bei einiger Professionalität der Vereinsführung - nicht einmal bis auf die Ersatzbank schaffen! Sie betonten die Wichtigkeit eines Gemeinschaftsgefühls am Beginn eines internationalen Turniers oder am Beginn einer neuen Saison. Und auch damit liegen Sie natürlich vollkommen richtig! Doch wo bleibt das Gemeinschaftsgefühl DIESER Schlüsselspieler mit dem Verein, den Vereinsmitgliedern und den Zusehern? Was passiert denn im Sport, wenn betrogen und quasi auf eigene Rechnung gespielt wird? War da nicht etwas - gerade erst letztens?
Dass es selbst dem Geduldigsten irgendwann einmal reicht, ist bei so einem reinen Spiel auf Zeit, wie es uns gerade vorexerziert wird, wohl psychologisch nachvollziehbar. Menschen, die sich punkto Interessenswahrung, Machtverteilung und Rechtsstaatlichkeit (etc.) in einer Zweiklassengesellschaft fühlen, werden sich auch nach zwei Klassen einteilbar verhalten. Wohin das führt, haben uns die vergangenen Jahrhunderte leider überaus blutig bewiesen. Zieht man daraus nicht sehr schnell die Lehren, dann wird sich diese Entwicklung nur allzu schnell wiederholen. Alle oder zumindest die meisten von unseren Vorfahren bereits erzielten materiellen, technischen, gesellschaftspolitischen und weiteren Errungenschaften waren dann wahrscheinlich - nicht zum ersten Mal übrigens - vergebens. Sie meinten, viele Ereignisse der Vergangenheit würden heuer „Gelegenheit geben, uns mit der Geschichte und mit dem, was wir aus ihr lernen können, zu beschäftigen“. Wie wahr!
Es scheitert nie an der Geduld, am Augenmaß und Verständnis der Benachteiligten, es scheitert immer an der Wahrnehmungsresistenz, der Maßlosigkeit und Fehleinschätzung jener, die ihre Vorteile aus einem Gesellschaftssystem zu ziehen glauben. Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht - und nicht der Brunnen zum Krug.
Wenn Sie meinen, dass Österreich ein Land mit hoher Lebensqualität sei, dann ist das längst eine Land, in dem die Lebensqualität, das Einkommen, der Wohlstand und die Überlebensfähigkeit von einigen wenigen sehr Reichen statistisch auf viele Tausende aufgerechnet werden, die sich an der Armutsgrenze befinden - oder längst jenseits davon. Sie nannten es recht elegant verschlüsselt "zu wenig soziale Symmetrie in unserer Gesellschaft". Und die Prognosen diesbezüglich sind - kein Wunder - alles andere, als erfreulich. Auch das wird wohl "niemand bestreiten“, um hier ebenso an Ihre Worte anzuknüpfen.
Und wenn man in so einer Situation - um eben als kleines Licht nicht untätig und konstruktiv zu bleiben - einen konkreten Veränderungsvorschlag einbringt, der auch maßgeblich etwas verändern könnte, dann scheitert der schon daran, dass man auf der Empfängerseite nicht weiß, wem man den denn am besten weiterleiten könnte - aber der Einbringer könnte ja selber der Partei beitreten - und das dann in der Sektion besprechen, damit die das dann in der Bezirksorganisation vorbringt ... die wiederum könnte das dann - wenn's immer noch ein Thema mit Priorität wäre - am Landesparteitag einbringen, damit es dann die Bundesorganisation ... ah ja, eh! Wie steht es da um die von Ihnen angeführte gemeinsame Arbeit am "Projekt Österreich"?
Und dann wundern Sie sich - über auch nur irgendetwas???
Mir fallen da vielmehr die Titel einiger alter Simmel-Werke ein: "Mich wundert, dass ich so fröhlich bin", "Lieb Vaterland, magst ruhig sein", "Bis zur bitteren Neige", "Der Stoff, aus dem die Träume sind", "Die Antwort kennt nur der Wind", "Die im Dunkeln sieht man nicht", "Hurra, wir leben noch", "Liebe ist nur ein Wort", ...
Nur zwei sind leider nicht dabei: "Alle Menschen werden Brüder" und "Wir heißen Euch hoffen".
Möge daher 2014 nicht so werden, wie es leider zu befürchten ist!
Hochachtungsvoll
nach wie vor im Bemühen um die Mitmenschen, Nachbarn und Schwächsten
freiwillig aufreibender
Gerhard Kuchta